Die wahre Geschichte hinter der Geschichte
Zwei Freunde in einer Bar unterhalten sich…
Die Bar war halb leer. Der Regen an den Fenstern zeichnete flĂĽchtige Muster, die kamen und gingen, wie Gedanken, die man fast verstand und dann wieder verlor.
Daniel starrte auf die Kerze in der Mitte des Tisches. Ihr Licht flackerte, als hätte es eine Meinung.
„Sag mal“, begann er, ohne aufzusehen, „kannst du dir vorstellen, einfach nicht mehr da zu sein? Also… wirklich nicht mehr. Tot.“
Tschulien antwortete, ohne zu zögern. „Ja. Klar. Dann ist einfach… nichts. Wie Schlafen. Kein Traum, kein Bewusstsein. Einfach aus.“
Daniel runzelte die Stirn, nahm einen Schluck Bier, als mĂĽsste er etwas herunterspĂĽlen.
„Aber… das geht doch nicht. Da ist doch was. Irgendwas muss doch bleiben. Ein Rest von… uns.“
Tschulien zuckte die Schultern.
„Warum? Weil’s sich besser anfühlt? Nur weil wir’s uns nicht vorstellen können, heißt das nicht, dass da was ist.“
Daniel schüttelte den Kopf. „Aber wie soll das gehen? Ich meine – ich bin doch jetzt hier, ich denke doch gerade, ich fühle. Das kann doch nicht einfach… weg sein.“
Tschulien sah ihn ruhig an. „Das ist der Trick am Leben. Es fühlt sich so real an, dass man denkt, es müsste ewig weitergehen. Aber das ist nur ein Reflex. Ein Schutzmechanismus.“
„Ich weiß nicht“, sagte Daniel leise. „Ich krieg Panik bei dem Gedanken. Als würde ich in ein Loch fallen, und keiner merkt’s.“
„Aber du merkst es ja auch nicht“, sagte Tschulien sanft. „Das ist ja das Ding. Wenn’s vorbei ist, ist es wirklich vorbei. Kein Loch. Kein Fall. Einfach Dunkelheit. Und dann nicht mal mehr das.“
Daniel starrte wieder auf die Kerze.
„Ich kann das nicht akzeptieren. Dass ich mal einfach… nicht mehr sein soll. Nicht mal als Erinnerung in einem Kopf. Irgendwann ist man ganz weg. Als hätte es einen nie gegeben.“
Tschulien sah auf sein Glas.
„Vielleicht ist das der Preis dafür, dass wir überhaupt hier sind. Dass es vergänglich ist.“
Daniel sah ihn an. Da war keine Ironie in Tschuliens Blick. Nur Ruhe. Vielleicht Resignation. Oder Frieden.
„Und das reicht dir?“ fragte Daniel.
Tschulien nickte.
„Heute schon. Morgen weiß ich’s nicht.“
DrauĂźen schlug der Wind gegen die Scheiben. Drinnen war es still geworden.
Die Kerze flackerte noch einmal, dann stand die Flamme ruhig.
So wie ihre Gedanken – für einen Moment.
Fortsetzung: „Und was, wenn da doch was ist?“
Die zweite Runde Bier war fast leer, als Daniel sich wieder vorlehnte.
„Aber…“ sagte er, „nur mal angenommen, du hast recht. Dass da nichts ist. Kein Bewusstsein, keine Seele. Nur Stillstand.“
Tschulien nickte.
„Dann ist’s eben so.“
Daniel fuhr mit dem Finger eine Wasserlache auf dem Tisch nach.
„Aber was, wenn unser Bewusstsein… kein Mysterium ist? Was, wenn es nur eine bestimmte Anordnung ist? Neuronale Aktivität, ein präziser Informationszustand. So wie ein Lied auf einer Schallplatte. Man muss nur wissen, wie man’s abspielt.“
Tschulien hob die Braue.
„Du meinst, wir sind… speicherbar?“
„Nicht nur das“, sagte Daniel. Seine Stimme wurde lebendiger. „Ich meine, vielleicht ist der Tod gar kein Ende. Vielleicht ist es nur ein vorläufiges Abschalten eines Systems, das im Prinzip jederzeit rekonstruierbar ist.“
Tschulien schĂĽttelte langsam den Kopf.
„Du redest von digitaler Unsterblichkeit.“
„Nein“, widersprach Daniel, „ich rede davon, dass alles Materie ist. Auch Gedanken. Auch das, was du gerade fühlst. Und wenn das so ist, dann kann man es rekonstruieren. Irgendwann. Wenn Zeit formbar ist. Wenn Informationszustände lesbar sind wie alte Daten auf einer Festplatte.“
Tschulien sah ihn eine Weile an.
„Und was bringt dir das, Daniel? Diese Hoffnung auf eine umgekehrte Zeit?“
Daniel antwortete nicht sofort. Dann:
„Es nimmt mir die Angst. Es sagt mir: Ich bin nicht einfach weg. Ich bin nur… kurz aus. Und vielleicht – irgendwann – drĂĽckt jemand wieder auf ‚Play‘. Nur ein anderes Ich. Oder ein anderes Jetzt. Aber nicht nichts.“
Tschulien sah lange in sein Glas. Dann sagte er leise:
„Das klingt schön. Aber auch wie ein Trick, um dem Nichts zu entkommen.“
„Mag sein“, sagte Daniel. „Aber wer sagt, dass die Wahrheit nicht auch tröstlich sein darf?“
Der Regen hatte aufgehört. Nur noch Tropfen rannen vereinzelt die Scheiben hinab. Draußen glitzerte die Straße im Licht der Laternen wie eine alte Schallplatte.
Tschulien seufzte.
„Weißt du, manchmal beneide ich dich. Du kannst nicht loslassen – aber du schaffst es, im Unbekannten Schönheit zu sehen.“
Daniel lächelte schwach.
„Vielleicht ist das der Trick am Leben.“

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